#1

Sonne über Rabat

in Kreatives 25.09.2010 20:12
von mauseminchen
avatar

Ich habe eigentlich nur zwei Bitten vorab, bevor ihr mein angefangenes Buch zu lesen bekommt. Bitte schreibt mir ehrlich eure meinung, bin auch net sauer, wenn ihrs scheiße findet und zweitens. Klaut es bitte nicht. Ich habe das schonmal auf EQ erlebt, aber möchte das nicht nocheinmal haben, also wenn ihr ein Buch zum herzeigen wollt, dann schreibt doch selbst, ich bin mir sicher ihr seid auch alle super gut
---------------------------------
Prolog

Fast wütend fuhr der Wind durch mein Haar, ergriff es und zog es mit sich, als wollte er es mit sich tragen, in die Ferne, weit weg von hier. Auf meiner Wange lagen Tränen, die meinen Gefühlsausbruch vor wenigen Minuten verrieten. Mein Blick lag währenddessen auf einem schwarzen Punkt, der langsam am Horizont verschwand. Es war der Dampfer, der meine Freundin weg brachte, fort, nach Frankreich. Meine beste Freundin. Nun war sie fort. Und auch, wenn wir uns versprochen hatten uns im nächsten Sommer zu besuchen und übers Internet Kontakt Kontakt halten wollten, würde es nie wieder so sein, wie früher. Es würde für immer nur ein blasser Abklatsch der vergangenen Tage sein. Erschrocken fuhr ich zusammen, als ich auf meiner Schulter eine Hand fühlte. Fast ängstlich wandte ich mich um, darauf gefasst, einen der baumgroßen Hafenarbeiter vor mir zu sehen, aber es war mein Bruder Kim. Zwar war auch er im Gegensatz zu mir recht kräftig, aber vor ihm fürchtete ich mich nicht im Geringsten. Ich verbarg meine Trauer vor ihm nicht. Sein Blick war verständnisvoll, als er mich sanft, aber auch bestimmt an seine Brust drückte. Ich ließ es zu und atmete seinen Duft tief ein. Er gab mir Kraft und ich drückte mich fest an ihn, wie es ein kleines Kind bei seiner Mutter tat. Nun würden die Sommerferien beginnen. Ich würde meinen Eltern weis machen, dass es mir gut ginge, aber sobald die Schule wieder beginnen würde, würden meine Probleme erst richtig anfangen.


Erstes Kapitel
*piep* *piep* 6:30 Uhr. Mit einem wütenden Schnauben brachte ich den Wecker dazu zu schweigen. Als ich meine Füße aus dem Bett schwang und zu schnell aufstand taumelte ich einen Moment zurück, ließ mich wieder in mein warmes Bett sinken. Stöhnend hielt ich mir den dröhnenden Kopf. Heute würde die Schule wieder beginnen. In der vergangenen Nacht hatten mich schwere Sorgen diesbezüglich gequält, sodass ich erst vor ein paar Stunden eingeschlafen war. Doch ich hatte nicht die Zeit mich noch ein wenig hinzulegen und zu schlafen. Unten hörte ich bereits meine Mutter, die in der Küche das Frühstück vorbereitete. In Windeseile riss ich wiedereinmal willkürlich ein paar Sachen aus dem Schrank, ehe ich stockte. Schnell packte ich die Sachen wieder in den Schank. Nun versuchte ich es erneut. Akribisch prüfte ich die Kompatibilität der verschiedenen Kleidungsstücke. Schließlich hatte ich ein längeres Oberteil über einer schwarzen Leggins an. Auf dem T-Shirt stand ‚Missing’. Wie passend..., dachte ich, während ich mich im Spiegel betrachtete. Das Bild, was ich sah schien auf eine komische Art und Weise falsch. Doch ich beschloss diese Kombination anzubehalten, um mich in der Klasse wenigstens ein wenig zugehöriger zu fühlen. Auch ohne ... ich vollendete meine Gedanken mit einem leisen Flüstern: „...Marie ....“ Ich starrte eine ganze Weile mein Spiegelbild an, ohne etwas zu sehen. Plötzlich schüttelte ich meinen kopf, sodass meine Haare flogen. Ich wollte keinen weiteren Gedanken an das Kommende verschwenden, also schlurfte ich durch den Gang zum Badezimmer, wo ich mein Gesicht mit einer Creme und dann einem Abdeckliquid behandelte. Als ich mit meinem Gesicht halbwegs zufrieden war begann ich meine Augen zu tuschen und dir Konturen mit einem schwarzen Kajal nachzuziehen. Ich verbrachte einige Minuten vor dem Spiegel, in denen ich meine lockigen Haare von einer auf die andere Seite schob und verschiedene Lächeln ausprobierte. Doch letzten Endes war ich trotz meiner Veränderung ganz zufrieden mit mir. Steifbeinig versuchte ich möglichst graziös zu wirken, als ich die Treppe hinab stieg. Zielstrebig steuerte ich auf die Küche zu. In der Türe blieb ich stehen. Meine Mutter stand am Herd, während Kim und mein Vater am Tisch saßen und einen Toast aßen. Meine Mutter bemerkte mich zuerst. Unwillkürlich verzog sich mein perfektes Lächeln zu einem schiefen Lachen, als ich ihren perplexen Gesichtsausdruck sah. Nun sah auch mein Vater aus seiner Zeitung auf. Gelassen schob er seine Brille zurück, ehe auch ihm die Kinnlade runter fiel. Doch schon hörte ich Kims schallendes Lachen. „Wie siehst du denn aus, Sam.“ Doch ehe ich ihm antworten konnte hörte ich auch schon die Stimme meiner Mutter, die mindestens 2 Oktaven zu hoch schien: „Samantha.“ Ich versuchte gelassen zu wirken, als ich sagte: „Ich wollte mal etwas ... anderes ausprobieren.“ Doch innerlich spürte ich, wie ich mich verkrampfte, wie ein Tier auf dem Sprung. „Ich hab keine Zeit für Frühstück, ich kauf mir war beim Bäcker ... „, sagte ich nun in die Stille hinein, ehe ich nach meiner Tasche griff und fluchtartig das Haus verließ. Hinter mir fiel die Tür uns Schloss und ich blieb stehen, horchte, ob mir jemand von ihnen gefolgt war, um mich zur Rede zu stellen, aber es kam niemand. Erleichtert darüber atmete ich die Luft, die ich angehalten hatte aus. Meine Ballerinas machten leide Tick Tack Geräusche, als ich zu meinem Lancia Ypsilon Elle ging, der in der Garage stand. Dieses teure Auto hatte mir meine Tante zu meinem Führerschein geschenkt, obwohl ich lauthals gegen ein derart teures Auto protestiert hatte. Doch sie hatte darauf bestanden, dass nur derart noble Marken hielten, was sie versprachen. Und so hatte ich mich geschlagen gegeben. Als ich sie Einfahrt verließ glaubte ich Kims Gesicht am Küchenfenster zu sehen. Beim Bäcker hielt ich nur kurz, um mir eine Nussschnecke mitzunehmen. Natürlich erkannte man den Vorteil oder besser gesagt die Vorteile sofort. Der Motor summte leise, wie ein kleines Kätzchen, die Kupplung trat sich einfach und die Gänge waren einfach zu schalten. So rollte mein Wagen fast lautlos auf den Parkplatz der Schule. Nun hatte mein letztes Schuljahr hier begonnen. Noch einmal seufzte ich und atmete tief ein. Dann öffnete ich die Tür des Autos, um auszusteigen. Langsam schritt ich auf das große Backsteingebäude zu. Vor den Einteilungslisten der Kurse tummelten sich die Schüler. Am linken Rand des schwarzen Bretts die kleinen Sechstklässler und Rechts die Schüler der großen Q12Gruppe. Ich mischte mich unter die Anderen und suchte die Kurslisten der Kurse, die ich gewählt hatte nach meinem Namen ab. Bekannte Namen tauchten auf: ‚Pauline, Sabine, Babsi, Noah, Luis, Karim’ Sie waren vielleicht so etwas wie Freunde für mich, doch auch Namen , wie ‚Angela, Lauren, Sophie, Markus, Ahlam und Sebastian’ tauchten auf. Ich hatte natürlich gewusst, dass es unumgänglich war ihnen wieder zu begegnen, nun ohne Marie, aber dennoch wurde mir bei dem Gedanken daran heiß und kalt zugleich. Zuerst hatte ich Spanisch bei Herrn Simon. Natürlich gleich zusammen mit Lauren. Ich machte mich erst einmal auf das schlimmste gefasst, als ich auf das genannte Klassenzimmer zusteuerte. Als ich den Raum betrat glaubte ich, alle Augen lägen auf mir, aber als ich merkte, dass kein Kommentar von Lauren folgte, die wie die Anderen auch erstarrt schien, sah ich mich genauer um. Nun sah ich den Jungen, den eigentlich alle anstarrten. Nicht mich. Er stand neben mir, nahe der Tür. Ich spürte etwas, was mich schaudern ließ. Ich glaubte seine Angst zu spüren, sie zu sehen, während seine Augen wie die eines Tieres, welches in die Enge getrieben worden war, wild umherflogen. Ich kannte das Gefühl. Es war, wie das, was ich heute Morgen gespürt hatte. Doch etwas an ihm faszinierte mich. Natürlich, sein Körper war wunderschön. Er schien stark, sein Gesicht war einzigartig, fast wie ein teures Ölgemälde. Doch all das war es nicht. Seine Augen waren es, die mich in seinen bann zogen. Sie waren Azurblau und schienen von außen nach innen immer dunkler zu werden, was ihnen eine erstaunliche Tiefe gab. Ich merkte, wie auch ich dadurch erstarrte und ihn ansah. Erst nach ca. 2 Minuten, die sich für mich unendlich lang angefühlt hatten, merkte ich, wie dämlich das war und wie er sich fühlen musste. Ruckartig wandte ich mich von ihm ab und suchte mir eine Bank, wo noch niemand saß. Ich verbrachte die Zeit, in der Herr Simon noch nicht da war damit mir einen Überblick über den Stoff des Jahres zu machen. Dazu nahm ich mir eines der Bücher, die in dem Regal an der hinteren Wand des Klassenzimmers standen. Es dauerte nicht lange und ich machte mich auf den Weg, das Buch zurück zu stellen. Gerade, als ich am Regal ankam betrat Herr Simon das Zimmer. Schnell schob ich das Buch zwischen die anderen und nahm meinen Platz wieder ein. Ich war froh, dass Lauren mich nicht weiter beachtet hatte. Als alle, bis auf den Neuen ihre Plätze eingenommen hatten, ging der Mann mit seinem lustig wirkenden Schnurrbart auf den Jungen zu. Er lächelte ihn leicht an. Dann schob er ihn vor, zum Pult, wobei mir auffiel, wie unproportioniert Herr Simon neben dem Hoch gewachsenen Jungen aussah. „Ich will euch einen Neuling an der Schule vorstellen. Das ist Farid, er...“ Ich blendete die Worte des Lehrers fast ganz aus, hörte nur noch mit halbem Ohr, dass Farid aus Marokko stammte und einer der Flüchtlinge war. Farid... im Zusammenhang mit seinen wunderschönen Augen schmolz einem der Name geradezu auf der Zunge. Farid... Ich glitt in eine Traumwelt ab. So merkte ich erst, als Herr Simon und der Junge neben mir standen, dass alle darauf warteten, dass ich meine Tasche von dem freien Stuhl nahm. „Entschuldigung...“ hauchte ich leise, während ich nun hastig meine Tasche neben mir auf dem Boden platzierte. Ich versuchte ein Lächeln zustande zu bringen, doch schien es wohl ehr eine Grimasse zu sein, denn das erste mal, seit er hier war, schien Farid zu lachen. Es war ein wunderschönes Lachen. Dabei legte er den Kopf leicht schief und seine Nase kräuselte sich leicht. Dann ließ er sich neben mir nieder. Alle wandten sich der Tafel zu und Herr Simon begann damit uns einzeln nacheinander von den Ereignissen unserer Ferien erzählen zu lassen, natürlich auf Spanisch. Nachdem ich von unserer Reise nach Zagreb berichtet hatte, war Farid dran. Ich war erstaunt, wie flüssig die Worte im Gegensatz zu mir hervorquollen. Ich und auch die meisten Anderen schienen Probleme damit zu haben ihm genau zu folgen. Als er endete glaubte ich, er hatte von einer kleinen Bucht mit vielen Steinen in Marokko erzählt, doch WAS er gesagt hatte war nicht halb so wichtig, wie die Tatsache, DAS er etwas gesagt hatte und es derart wunderschön gewesen war, dass ich ihn von der Seite leicht betrachtete. Seine Augen, seine Stimme, sein unwiderstehlicher Duft... Er schien, als sei er von einem Künstler aus einem wunderbaren Holz geschnitzt worden, welches mir unbekannt war, jedoch dazu einlud es näher zu erforschen. Noch immer lag mein Blick auf Farids Profil. Doch als auch er seinen Blick zu mir wandte senkte ich ertappt meine Lider. Von da an konzentrierte ich mich auf Herrn Simons Unterricht, obgleich es mir nie derart schwer gefallen war. Erst der Stundengong erlöste mich aus meiner krampfhaften Starre. Ich überlegte einen Moment, Farid zu fragen, ob wir eventuell den gleichen Weg zu unserem nächsten Kurs hätten und ob wir dann zusammen dort hingehen wollten. Doch mein kurzes Zögern hatte zur Folge, dass Farid bereits weg war, als ich aufsah. Schweigend bewegte ich mich durch die Gänge. Nun fühlte ich mich doch des öfteren unwohl in meiner Kleidung, wenn ein vorbei gehender Junge einen Blick auf meinen Hintern warf, der sich durch die Leggins deutlicher, als durch eine jeans abzeichnete. Es wäre kein Vergleich damit gewesen mit Farid durch die Gänge zu laufen. Als ich endlich im Klassenzimmer ankam, sah ich mich um. Schließlich nahm ich meinen Platz hinter Pauline und Babsi ein, mit welchen ich mich sofort in eine Unterhaltung verstrickte. Erst eine etwas tiefere Stimme, die ein wenig zögerlich schien unterbrach uns: „Hallo, Samantha...“ langsam hob ich meinen Blick an und erblickte Farid leicht über uns gebeugt. Er ließ sich gerade neben mir nieder. Mein Atem stockte einen Moment fassungslos. Babsi und Pauline sahen mich sofort auffordernd an. Ich hörte, dass meine Stimme deutlich zitterte, als ich erklärte: „Ähm, Babsi, Pauline, das ist Farid, er ist neu hier.“ Zufrieden lächelten die Beiden und begrüßten ihn mit einem einstimmigen: „Hey, willkommen in München im Oxford Gymnasium.“ Babsi fügte noch unnötiger Weise hinzu: „Du scheinst dich ja schon echt gut eingewöhnt zu haben, was?“ Kichernd blickten sie einander an, ehe sie Blicke zwischen Farid und mir hin und her schickten. Erst jetzt wagte ich wieder ihn anzusehen. Doch was ich sah ließ mich schaudern. Er blickte mich an und in seinem Blick lag etwas seltsam bewunderndes. So hatte mich noch nie jemand angesehen. Ich war nicht bewundernswert. Ich war klein, unbedeutend, doch er ließ mich nicht aus seinen wunderbaren Augen. Nicht einmal, als Frau Rettich hereinstöckelte und mit ihrem Geographieunterricht begann sah er nach vorne. Nun war er es, der mich unverhohlen anstarrte. Und in dieser Stunde fiel es mir noch schwerer ihn nicht zu beachten. Immer wieder suchten meine Augen die große Uhr, bis ich die schallende Schulglocke hörte, die uns entließ. Doch dieses mal blieb er sitzen, sah mich weiterhin nur mit seinen azurblauen Augen an, in welchen ich mich ohne weiteres verlieren konnte. Pauline und Babsi sahen uns kichernd an. „Kommst du, Sam? Oder besser gesagt, kommt ihr?“, hörte ich die Stimme von Babsi. An ihrer Stimmlage hörte ich sofort heraus, was sie offensichtlich dachte. „Ähm... ja, natürlich. Sofort.“, brachte ich mühsam hervor, während ich versuchte mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen, „Farid, möchtest du mit uns die Pause verbringen?“ Ich betonte jede Silbe und sprach sehr langsam, weil ich glaubte er spräche nicht wirklich gut Deutsch. Umso mehr war ich erstaunt darüber, dass seine Worte fließend waren, als er auf Deutsch antwortete: „Gerne. Danke für das Angebot.“ Nur sein Akzent verriet, dass es nicht seine Muttersprache war, Erstaunlicher Weise schaffte ich es mich aus meiner Verwunderung zu lösen und nicht so zu wirken, als wäre ich es gewesen. Mit einer einladenden Geste bedeutete ich ihm uns zu folgen.


Nicht etwa 2 Minuten, nachdem wir das Klassenzimmer verlassen hatten, laut lachend und fröhlich, kam auch schon das erste Unheil auf uns zu. Über Farid hatte ich meine Sorgen vorerst total vergessen. Doch nun, da Sophie mit Lauren und Angela angelaufen kam, spürte ich, wie ich mich leicht anspannte und aufhörte zu lachen. Nur Farid hatte das bemerkt und folgte meinem Blick. Tatsächlich steuerten sie auf uns zu. Doch als sie bei uns stehen blieben würdigten sie mich keines Blickes. Statt dessen sah ich, wie Sophie sofort ihre Zuneigung zu Farid zeigte und ihn in ein Gespräch zog. Ich versuchte ihre Worte auszublenden, mich auf Lauren und Angela zu konzentrieren. Mir fiel auf, dass Angela auch gerne Anspruch auf Farid erhoben hätte, doch sobald Sophie ihm zeigte, dass sie ihn mochte, hatten alle anderen Mädchen keine Chance mehr. So war das bei jedem Jungen. Meine Gedanken kreisten trotz dieser einen Tatsache um die Hoffnung, dass Farid sie Ablehnen würde. Ich klammerte mich sozusagen an die mikroskopisch kleine Idee, die doch wohl nie wahr werden würde. Wieso sollte es bei ihm anders sein, als bei anderen Jungs. Während ich noch da stand, versuchte das um mich herum auszublenden, spürte ich plötzlich einen Arm, der sich Besitzergreifend um meine Taille legte. Und dann einen sanften Kuss auf meiner Wange. Das einzige, was ich hörte, waren die Worte: „Tut mir leid, aber ich bin bereits vergeben,“ und das mit dem wunderbaren Akzent Farids. Mein Herz pochte so heftig, dass ich glaubte meine Brust müsste augenblicklich zerspringen. Doch ich blieb heil und Farid zog mich sanft mit sich, was ich nur all zu gern zuließ. Als wir um die nächste Ecke gebogen waren öffnete er eine Klassenzimmertür und wir setzten uns nebeneinander auf den Boden in dem Raum. Ich war gespannt, was nun geschehen würde. Neben mir hörte ich ihn plötzlich seufzen, als hätte er unerträgliche Schmerzen. Als ich meinen besorgten Blick auf ihn wandte erkannte ich, dass er nach den richtigen Worten zu suchen schien. Fragend richtete ich nun meine volle Aufmerksamkeit auf ihn. Er begann mit seiner Erklärung, wobei seine Stimme rauer klang, als sie es vorher getan hatte: „Samantha, ich... das, was gerade eben geschehen ist,... es hat nichts zu bedeuten. Ich wollte dieser Sophie zeigen, dass sie keine Chance hat. Es tut mir leid, dich dafür benutzt zu haben.“ Er schien zu ahnen, dass mir sein kleines Schauspiel nur all zu gut gefallen hatte, dass ich seit unserer ersten Begegnung hier auf etwas ganz ähnliches hoffte. „Bitte verzeih mir. Ich hätte dich gerne als Freundin gehabt, doch ich könnte dich verstehen, wenn du mich nach meiner Aktion grade zurückweisen würdest...“ nun blickte er auf, sah mich direkt an. Er schien au eine Antwort zu warten, aber ich starrte nur gerade aus. Urplötzlich griffen meine Hände nach seinem Oberarm. Ich krallte mich an ihn, wie an ein rettendes Holzstück, welches auf dem Ozean trieb. Doch er löste nur schweigend den Griff meiner Hände. „Samantha, ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen... es wird nie so viel zwischen und geben. Nie!“ Seine Worte brannten wie eine ätzende Säure in mir, drohten mich innerlich aufzufressen. Bedauernd schüttelte er den Kopf, erhob sich und wollte aus dem Zimmer gehen. Doch wieder hielt ich ihn auf. „Farid, ich würde gerne trotzdem mit dir befreundet sein...“ langsam ließ ich meine Hand sinken. Wartete auf seine Reaktion. Einen Moment glaubte ich, ein feuriges Flackern in seinen Augen zu sehen, doch dann lächelte er auch leicht. „Schön. Wir sollten aber jetzt wohl wieder hier raus kommen. Die Pause ist gleich zuende.“ Seine Stimme Worte waren noch kaum in meinen Ohren verklungen, als der Gong sie ablöste. Lächelnd drängten wir uns durch die Gänge, bis wir zu unserem nächsten Kurs gefunden hatten. Wir schienen scheinbar jeden Kurs gemeinsam zu besuchen, was mich keineswegs störte. Zufrieden saß ich Stunde für Stunde neben ihm. Doch dieser Schultag ging zuende und wir mussten uns verabschieden. Er begleitete mich noch zu meinem Lancia, ehe er Richtung der Motorradstellplätze verschwand. Kurze Zeit später tauchte er mit einem Motorrad wieder auf und verließ den Parkplatz. Ich hörte einige Jungs über sein Auftreten reden und schloss daraus, dass er eine Honda VTR SP3 gefahren haben musste. Nun startete auch ich meinen Wagen und fuhr Richtung meines Zuhauses. Dort angekommen suchte ich nicht den Kontakt zu meiner Familie. Statt dessen lief ich zu meinem PC im ersten Stock und startete ihn. Röhrend setzte die Lüftung des Getriebes ein.


Zweites Kapitel
Die Facebookseite hatte ich bereits als Startseite in meinem Browser eingerichtet, sodass sie sich sofort öffnete. Fast fieberhaft suchte ich den Chat nach Marie ab, doch seit sie in Frankreich war, war sie seltener, als früher online und ich traf sie fast nie an. Traurig ließ ich mich in meinen Stuhl zurückgleiten. Der Tag war zwar nicht all zu schlecht gewesen, aber auch nicht wirklich schön. Plötzlich spürte ich zwei starke Hände, die von hinten meine Arme berührten. Ich wusste, dass es Kim war, hatte ich ihn auch nicht reinkommen gehört. „Ach, Kim.“ Seufzte ich. Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine kleine Träne die Wange hinabkullerte. Kim strich sie mir sanft aus dem Gesicht. „Was ist denn, Schwesterherz? Was ist bloß passiert, Sam?“, seine Stimme klang ernsthaft besorgt. Nun schlug ich meine Augen auf, sah ihn an, wie er sich leicht über mich beugte. „Es ist nur... Ach...“ willig erzählte ich ihm von den Geschehnissen des Tages. Nachdem ich fertig war sah ich, wie mein Bruder seine Hände zu Fäusten ballte. „Wie kann dieser Mistkerl dir nur so etwas antun? Und du vergibst ihm auch noch?“, er schien geradezu zu lodern deswegen. Beschwichtigend legte ich ihm meine Hand auf den Arm. „Bitte, Kim, er kann nichts dafür.“, versuchte ich Farid schwach zu verteidigen. „Bitte, tu nichts unüberlegtes.“ Ich ahnte, dass Kim Farid zur Rede stellen wollte, dabei würde er vollkommen auf seine Art und Weise vorgehen. Aber das würde ich nicht zulassen. Nie würde ich dabei zusehen, wie die beiden Menschen, die in mir die meisten Gefühle hervorriefen sich gegenseitig in einem Kampf gegenüber stünden. Noch immer lag meine Hand auf Kims Arm. Langsam drehte er den Kopf in meine Richtung. „In Ordnung, Schwesterchen, aber sag ihm, er soll sich zurückhalten.“ „Ach, Kim.“ Hauchte ich, ehe ich meine Arme um seinen Hals schlang und mich an ihn drückte. Seine Hände umschlossen meine Taille. Tief sog ich den vertrauten Duft ein. Bei ihm fühlte ich mich sicher, behütet. Wir verharrten einige Sekunden regungslos, ehe ich mich vorsichtig von ihm trennte, ihm in seine Braungrünen Augen sah, die meinen so ähnlich waren. Sanft drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange, ehe wir zum Essen hinab gingen. Ich schien diesen Abend meine Maske wohl nicht all zu gut befestigen zu können, denn immer wieder lächelte meine Mutter mich aufmunternd an. Ich wusste, dass ich nicht perfekt die glückliche Tochter spielen konnte, doch hatte ich immer gehofft mit der Zeit besser darin zu werden. Doch das war offensichtlich nicht der Fall. Zumindest kam auf diese Weise keiner auf die Idee nach meinem Tag zu fragen. Statt dessen unterhielten wir uns über Belangloses. Meine Eltern erzählten Geschichten aus der Arbeit, Kim witzelte über den ein oder anderen Star und ich versuchte möglichst interessiert zu wirkten, während ich zuhörte. Nachdem wir fertig waren gingen Dad und Kim zum Fernsehen ins Wohnzimmer, während Mom und ich das Geschirr abspülten. „Schatz, es ist doch etwas mit dir. Du scheinst so unglücklich. Ist es wegen Marie? Vermisst du sie noch immer so sehr?“ Aaarrgh! Hör auf damit! Hör auf, ich will nicht! Sofort Stopp! Meine Gedanken waren eindeutig. „Nein, Mom, alles in Ordnung! Ich bin ein bisschen müde, das ist alles.“ Bitte schluck es und lass mich in Ruhe! , hoffte ich inständig. So kam es dann auch. „Na dann leg dich doch schon mal ein wenig hin. Das bisschen Abwasch schaffe ich schon allein.“ Sie lächelte sanft. Ich hätte eigentlich noch gerne ein wenig ferngesehen, aber es war besser so, als sich mit Fragen löchern zu lassen. Oben angekommen schaltete ich noch einmal meinen PC an. Der Bildschirm leuchtete langsam auf. Gebannt wartete ich darauf, dass das Zeichen der Internetverbindung aufleuchtete. Sobald das grüne Licht aufblinkte und dann ruhiges orangenes Licht ausstrahlte, öffnete ich den Browser und somit Facebook. Schnell flogen meine Finger über die Tasten, während ich meine E-mailadresse, sowie mein Passwort eingab. Schnell öffnete sich meine Nachrichtenseite und ich prüfte den Chat. Marie war nicht zu sehen. Lautlos entglitt mir eine Träne und rollte über meine Wange. Doch dieser folgten weitere. Weinend ließ ich mich auf mein Bett fallen. Mein Kissen erstickte die Geräusche, die ich dabei machte. Doch wie immer kam die Müdigkeit nach dem Weinen. Dieses wunderbare Gefühl, dass einem die Augen müde wurden, ja geradezu ausgeweint waren. Schon oft hatte ich festgestellt, dass dies der absoluten Müdigkeit und Erschöpfung am nächsten kam. So glitt ich, noch vollkommen angezogen in einen tiefen Schlaf.


Ich hatte eine Weile geschlafen, scheinbar tief und fest, bis ich mitten in der Nacht aufwachte, weil mein Bruder laut lachend in sein Zimmer nebenan ging. Er schien mit einem seiner Mädchen zu telefonieren. Als heilloser Mädchenheld ließ er es sich oft nicht entgehen ein wenig mit ihnen zu spielen, sie nur ein wenig ‚anzusehen’, wie er es nannte. Doch ich glitt schon bald wieder in den Schlaf. Diesmal träumte ich jedoch wild und unruhig. Das Erwachen am nächsten Morgen war dementsprechend und ich fühlte mich trotz dessen, dass ich so lange geschlafen hatte wie gerädert. Schlaftrunken setzte ich mich auf. Die Sonne schien bei meinem Fenster herein und ließ den Tag vielversprechend wirken. Trotzdem hatte ich dabei ein schlechtes Gefühl. Wieder suchte ich nach der passenden Kleidung für den heutigen Tag. Wenn auch aus einem anderen Grund, als dem gestrigen. Dieser Grund hieß Farid. Schon bei dem Gedanken an ihn schlug mein Herz höher und ein Lächeln breitete sich wie von selbst auf meinem Gesicht aus. Es schien nun schon in meinen natürlichen Morgenritualen eingebunden, dass ich meinen Kleiderschrank durchforstete und mich ‚sichtbar’ schminkte. Heute war noch einer der Tage im Herbst, die einen an den wunderbaren Sommer erinnerten. Deshalb hatte ich ein recht kurzes Sommerkleidchen an, welches ohne Träger oben und durch die Kürze unten viel Freiraum ließ. Es war eines meiner Lieblingskleider. Einfach etwas zwischen elegant und normal. Sportlich und doch graziös. Dazu steckte ich meine ungestümen Haare mit zwei Holzstäbchen zu einem Dutt zusammen. Meine Sandalen hatten einen kleinen, und so nicht zu hohen Absatz, was meinen Beinen eine gewisse Grazie verlieh. Heute hatte ich sogar noch genug Zeit mein Frühstück Zuhause einzunehmen. Ich saß neben Kim, blätterte in einer Zeitschrift, aß meinen Toast und trank einen Capuccino. Nachdem ich fertig war stand ich auf und verließ mit einem kurzen Abschiedsgruß das Haus. Wieder startete ich wie jeden Tag meinen Lancia und fuhr lautlos aus der Garage. Zufrieden öffnete ich ein Fenster, um für frische Luft zu sorgen. Das Gefühl des Fahrtwindes war zwar auf einer Straße in der Stadt nicht mit dem auf der Autobahn vergleichbar und doch auf seine eigene Weise wunderschön. Doch mein Glück wurde abrupt beendet, als ich wegen eines herbeifahrenden Motorradfahrers stoppen musste, da er mir an der Straßenkreuzung die Vorfahrt nahm. Gerade wollte ich meinem Ärger mit ein paar derben Flüchen Luft machen, als ich erkannte, wer da auf der Maschine vor mir saß. Farid. Sofort wurden meine Züge wieder weich und fließend. Mein Ärger verflog. Ich schaute nur noch mit einem verklärten Lächeln auf den schlanken und doch so stark erscheinenden Mann vor mir. Ja, Farid war bereits ein richtiger Mann, denn an ihm, seinem Charakter und seinem Körper war nichts zu finden, war auf den Jungen in ihm hindeuten würde. Das mochte ein wenig weit vorausgegriffen klingen, zumal ich ihn noch kaum kannte, doch ich glaubte ihn schon seit Jahren kennen zu müssen, so vertraut kam mir sein Anblick bereits vor. Und doch war es wie gestern ein Anblick, den man in sein Herz lassen und nie wieder gehen lassen sollte. Fast krampfhaft musste ich mich zwingen mich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren und nicht nur auf Farids kräftigen Rücken zu schauen und mir vorzustellen, wie hart seine Muskeln unter dem T-Shirt sein mussten. Dennoch gelang es mir, ohne einen Unfall zu produzieren, an der Schule anzukommen. Farid war natürlich mit seiner Maschine ein wenig schneller. Als ich mit meiner Tasche über der Schulter und dem Ordner unter dem Arm auf das große Backsteingebäude zusteuerte stieg er gerade die Treppen zum Eingang hinauf. Mechanisch beschleunigten meine Schritte sich und ich hastete die Treppe hinauf, bis ich ihn ganz oben eingeholt hatte. „Farid!“, keuchte ich lächelnd und passte mich seinem Schritttempo an. Ein breites Lächeln zierte mein Gesicht. Und dazu musste ich mich nicht zwingen, Als er meinen Gruß erwiederte und sich zu mir drehte sah ich, dass auch er lachte. Sein ganzes Gesicht schien zu strahlen und seine Augen funkelten wie blaue Saphire. Dieser Anblick ließ mich für einige kurze Momente vergessen zu atmen. Doch ich schaffte es mich wieder zu fangen. Nun versuchte ich eine scheinbar belanglose Idee meinerseits zu äußern: „Sag mal, was hältst du eigentlich davon, wenn wir heute nach der Schule noch ein Eis essen gehen? Ich meine nur wegen dem Wetter und so.“ Einen Moment glaubte ich etwas über sein Gesicht huschen zu sehen, doch als er antwortete schien wieder alles normal. „Natürlich! Das klingt gut. Kennst du denn ein gutes Café in der Nähe? Ich ... äh ... kenn mich ja noch nicht so gut aus hier.“ Nun lächelte er sein schiefes Lächeln, was ihn auf eine gewisse Art und Weise wie ein Kind erscheinen ließ. „Klar! Wir gehen hier eigentlich immer ins Atlantik. Es wird dir gefallen. Um 2 heute Nachmittag? Das Café ist direkt hier in der Nähe am Fellererplatz.“ „Ok, nun lass uns den Tag hinter uns bringen, damit wir bald unser Eis genießen können.“ Farid lächelte kichernd, ehe wir gemeinsam das Schulhaus betraten. Die Vertrautheit war für mich mittlerweile zu eine all zu verständlichen Kleinigkeit geworden, sodass ich mit Farid oft vergaß, dass ihm das Gebäude nicht ganz so vertraut war. Er blieb bei mir, wenn wir die Kurse zusammen hatten und ich führte ihn zu den Klassenräumen, wenn wir getrennt zu unserem Fach mussten. Ich mochte die Zeit, die ich mit ihm verbrachte. Er ließ mir keine Zeit Gedanken an Marie zu verschwenden. Was hieß zu verschwenden. Ich sah es nicht als Verschwendung an, an sie zu denken, aber ich war für jede Ablenkung dankbar. Die Bilder, die der Gedanke an sie in mir hervorrief, ließen mich die Fassung nicht selten verlieren. Jedes mal, wenn ich die guten und auch die schlechten Momente sah, die Gefühle spürte, die ich gespürt hatte, dann durchfuhr mich auch der Schmerz. Der Schmerz der Trennung. Ich wusste, dass ich Französisch lernen würde und zu ihr kommen würde. Ich hatte fest vor, schon seit langem, einen Kurs an der Volkshochschule zu besuchen, um dort mit ihren Freunden und ihrer Familie reden zu können. Auch wenn der Gedanke daran, dass sie dort andere, womöglich bessere Freunde, als mich gefunden haben könnte mich fast zerriss. Ich würde alles tun, um sie wieder zu sehen. Ich würde tun, was ein Mensch nur tun könnte, um den Kontakt zu halten.


Ich seufzte tief. Es schien, als läge mein Halber Kleiderschrank um mich verstreut in meinem Zimmer. Das Chaos war unermesslich. Kleider, Röcke, Jeans, Blusen, ... Wieso nur hatte ich genau in diesen Momenten des Lebens nicht den Mut einfach irgendetwas anzuziehen. Wieso schien mir nichts passend von dem, was in meinem Kleiderschrank hing. Doch die Zeit rann dahin. Ich wusste, dass ich um 13:50 spätestens losfahren müsste, wenn ich nicht zu spät kommen wollte. Und das wollte ich nicht. Ich wollte keinen Augenblick mit Farid zusammen verpassen. Kurzfristig entschloss ich mich doch zu einem weißen Rock mit sandfarbenen Blumen, sowie einem weißen Top, über welchem eine luftige, alabasterfarbene Jacke lag. Zufrieden fuhr ich meinen Kajal nach, überprüfte meine Wimpern und zog meinen dezenten Lippenstift nach, ehe ich meine Sandalen überstreifte und mich aufmachte. Es war angenehm im Auto noch einmal nachdenken zu können, wie ich mich jetzt verhalten würde. In meinem Kopf bildete sich sofort eine Szene, wie es in meinem Wunschdenken ablaufen könnte. Doch wusste ich nicht nur zu genau, dass es niemals so funktionieren würde, dass er sich niemals darauf einlassen würde? Dennoch war es einfach zu schön sich vorstellen zu können, dass er mich in seine Arme nahm, dass er meine Lippen mit zärtlichen Küssen nährte und dass er mich mit seinen Saphiraugen sanft betrachtete. Die Vorstellung war zu schön, um sie als Illusion fort zu schicken. Ich ließ mich in den Armen der Einbildung leicht schaukeln, genoss es von ihr umhüllt zu werden.
Das Hupen eines Autos ließ mich aufschrecken. Ich stand an einer grünen Ampel. Die Fahrer hinter mir brüllten bereits wütend und fuchtelten mit ihren Händen. Eilig ließ ich meinen Fuß auf das Gaspedal schnellen. Zu schnell. Mein Auto machte einen Satz nach vorne. Der Motor erstarb. Ich atmete tief ein und wieder aus. Gang einlegen. Jetzt. Ganz vorsichtig. Und tatsächlich. Das Gefühl die Macht über das Auto wieder zu haben war berauschend. Nun wollte ich jedoch endlich zum Atlantis gelangen. Innerlich konnte ich mir den Scherz nicht verkneifen zu hoffen, dass Farid nicht zu lange nach Atlantis suchen müsste. Doch natürlich wusste ich, dass ich dies niemals Farid gegenüber erwähnt hätte. Doch nur einer Sache war ich mir in diesem Moment bewusst: Ich war unwiderruflich in Farid verliebt.


Als ich in die abgezäunte Terrasse des Cafes trat erkannte ich ihn schon an einem der Tische. Es war erstaunlich, wie groß er war. Der Tisch wirkte für ihn irgendwie zu klein. Doch vielleicht mochte diese Abschätzung auch an meiner verklärten Sicht der Dinge liegen. Mein Gesicht musste vor Begeisterung gestrahlt haben, denn er lächelte leicht belustigt, als ich zu ihm an den Tisch kam. Gefolgt von einer Kellnerin. Lächelnd reichte sie uns die Karten und verschwand. Ich hatte sie nie als unhöflich betrachtet und auch noch nie ein Problem mit ihr gehabt, aber heute sah ich in der blonden Schönheit eine wahre Konkurrenz. Ich wählte gezielt den Nougat-Becher, ohne einen einzigen Blick in die Karte zu werfen, denn ich liebte diesen Eisbecher fast abgöttisch. Er nahm den Amaretto-becher und wir gaben unsere Bestellung auf. Während unsere Eisbecher gemacht wurden gaben wir uns dem Gespräch über die Schule und andere alltägliche Dinge hin. Es war einfach ein Pläuschchen zwischen Freunden. Mehr schien da in diesem Moment nicht zu sein. Doch mein Herz sprach eine andere Sprache. Ich spürte unter meinem Top deutlich die einzelnen Schläge: Bum – Bum – Bum –... Dann wurden wir unterbrochen. Die Bedienung brachte uns mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen die Eiskreationen. Für meinen Geschmack schien sie ein wenig zu auffällig zu lächeln, doch möglicherweise bildete ich mir das wieder einmal nur ein. Es vergingen bestimmt 5 Minuten, in denen wir an unseren Eisbechern aßen.
Schweigend. Eine komische Spannung schien wie eine große, graue Wolke über uns zu hängen, uns zu bedrohen. Immer wieder glitten meine Augen verstohlen in Farids Richtung. Ich wartete auf eine Reaktion, fand selbst nicht die Worte zu einem erneuten Gesprächsbeginn. Doch dann brach Farid den Bann. Seine zarte Stimme durchschnitt die Luft, wie ein Messer. „Samantha, ich möchte dir meine Geschichte erzählen. Ich finde du hast das Recht darauf zu wissen, wer ich bin. Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Ich bin kein armer Flüchtling. Es ist wahr, in unserem Land ist Krieg, doch ich war kein Opfer des Krieges. Mein Vater ist der Verwalter eines Landstriches. Er weigerte sich dem Volk zu helfen, als die Armeen einmarschierten. Er blieb mit mir, meiner Schwester und meiner Mutter zu Hause. Wir hatten dort ein großes Schloss, mit viel Land. Wir waren reich. Mein Vater kümmerte sich nicht um die Sorgen des Volkes. Nie hatte er das wirklich getan. Als sie Hunger litten, aßen wir Brot und gutes Fleisch. Abends hörte ich meine Eltern oft streiten. Ich wusste, dass Vater Mutter schlug und dass sie in dieser Zeit viel weinte, doch ich selbst war zu feige ihr zu helfen. Statt dessen tat es meine Schwester. Sie stellte sich gegen meinen Vater und sagte ihm ins Gesicht, was sie von ihm hielt. Er schlug sie. Und ich wandte den Blick ab.“, Farid senkte den Blick kurz, ehe er ihn anhob und unbestimmt in die Ferne starrte. „Ich war ein Feigling damals. Meine Schwester beschloss auszuziehen. Sie lief hinab in eines der Dörfer. Doch die Menschen verstanden nicht, dass sie helfen wollte. Sie beschimpften sie, schubsten sie in den Dreck und traten nach ihr. Als sie wieder kam weigerte sich mein Vater ihr die Behandlung zu zahlen, so übernahm meine Mutter diese Aufgabe. Doch als meine Schwester wieder gesund war kam sie eines Tages zu mir in mein Zimmer. Wie so oft waren ihre Augen Tränen verschmiert und gerötet. Sie bat mich ihr zu helfen, ja sie flehte mich an. Und ich war wieder einmal zu feige. Ich versuchte sie umzustimmen, damit Vater nicht länger sauer sein würde. Doch sie konnte sich nicht ändern. Sie beschimpfte mich und verachtete mich von diesem Tag an. Nur meine Mutter half ihr. Ich wusste, dass sie immer wieder Tiere befreiten und sie in Richtung der Dörfer trieben, damit die Leute überleben könnten. Doch eines Tages hatte eine Wache sie dabei beobachtet. Er berichtete meinem Vater davon und als die beiden nach Hause kamen nahm er sie fest. Sie sollten beide noch am selben Tag die gerechte Strafe erhalten und zwar die, dass sie in der Wüste ausgesetzt werden sollten, aneinander gefesselt und dort würden sie vermutlich sterben. Der Polizei würden sie als vermisst gemeldet werden und keiner würde etwas erfahren, denn nur drei unserer treusten Wachen, sowie mein Vater und ich wussten davon, doch dieses eine mal traute ich mich dazwischen zu gehen. Ich trat zu meinem Vater und forderte ihn auf sie gehen zu lassen. Er war enttäuscht von mir, dass auch ich mich gegen ihn wandte, doch ich wollte meine Schwester nicht tot sehen, genauso wenig meine Mutter. Ich wollte nicht mitverantwortlich an ihrem Tod sein. Deshalb bat ich meinen Vater um einen Kampf. Einen Fechtkampf. Er ließ mich gewähren. Wir kämpften und ich siegte. Doch ich hatte meinen Vater umgebracht. Ich hatte ihn tatsächlich ermordet. Deshalb ging ich, weil ich sonst auch hätte sterben müssen. Meine Schwester wollte mich unbedingt begleiten. Und so kam sie mit meiner Mutter zusammen mit. Ich hatte sie enttäuscht, doch sie verziehen mir, obwohl ich es nicht verdient hatte. Ich hatte keinerlei Achtung mehr verdient. Dennoch liebten sie mich wie zuvor. Doch ich will dich wenigstens davor bewahren dich in einen Mörder und Feigling wie mich zu verlieben. Bitte, tu es nicht, ich will nicht für das Unglück von noch mehr Menschen verantwortlich sein. Bitte. Tu es um deinetwillen.“ Er atmete am Ende seiner langen Rede geräuschvoll auf, ehe er einen schein und mehrere Münzen auf den Tisch legte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen stand er auf und ging.


Meine Gedanken pendelten um die Geschichte, die Farid mir so eben erzählt hatte. Ich wollte sie einfach nicht glauben. Ich konnte, wollte und durfte einfach nicht. Nein. Dieser junge Mann war niemals ein Mörder. Nicht derjenige in den ich mich verlebt hatte, nicht er. Das durfte einfach nicht sein. Gedankenverloren stand ich auf. Ich wusste nicht, ob er für mich bezahlt hatte, doch da mich keiner aufhielt stieg ich in meinen Wagen. Dort blieb ich eine Weile stumm sitzen. Ich ließ mich wieder tragen von meinen Gedanken, doch diesmal war es unangenehm. ES war unangenehm ins ungewisse getragen zu werden. Es war unangenehm sich von etwas führen zu lassen, was man am liebsten verbannt hätte. Doch ich ließ mich treiben. Auf dem großen Gedankensee, der in meinem Inneren waberte. Ich merkte nicht einmal, wie bereits die Dämmerung einsetzte und die Zungen der Dunkelheit an meinem Auto lechzten. Eine Stimme in meinem Kopf schalt mich, ich solle nach Hause fahren, doch es dauerte eine halbe Stunde, bis ich mich aus den Fängen der Gedanken befreien und losfahren konnte. Ich fuhr über die halbleeren Straßen nach Hause. In der Garage stellte ich mein Fahrzeug ab und schlurfte ins Haus. Meine Schultern hingen nach unten. Meine Augen waren matt beschlagen, mein ganzes Gesicht schien Bände über meine Verzweiflung zu sprechen. Kim stand auf dem Flur, als ich zur Tür herein kam er empfing mich mit vorwurfsvoller Miene, die sich bei meinem Anblick jedoch in ein besorgtes und vielleicht auch fragendes Gesicht wandelte. Er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich spürte seinen Daumen, der beständig beruhigend meinen Nacken streifte und ich hörte seinen Atem. Er schien zu versuchen sich zu beruhigen. Vermutlich dachte er darüber nach, was geschehen war. Was geschehen sein könnte. Dann plötzlich zerriss ein wutentbranntes Schnauben die Stille. „Was hat ER getan?“ keuchte er fassungslos. „Hat er dich etwa...?“ Ich hörte, wie schrill meine Stimme war, auch wenn ich nicht gewollt hatte, dass sie so klang: „Nein! Er es ist nicht wegen Farid es ist... ach wozu... ich brauche einfach ein wenig Zeit um nachzudenken. Dann werde ich wieder ganz die alte sein. Bitte, Kim, lass mich durch. Ich möchte in mein Zimmer. Widerwillig löste er die Umarmung. Erschöpft schleppte ich mich an ihm vorbei hinauf in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf mein Bett fallen. Es war weich wie immer und ich spürte, wie der Schlaf mich erneut übermannte. Sobald ich die Augen schloss umhüllte mich die Welt der Träume und ich sank in tiefen Schlaf.


Ich träumte. Mein Traum fand in einer Welt statt, die ich nicht kannte. Alles war so, wie es in den Büchern aus Tausend und einer Nacht beschrieben wurde. Arabische Lampen, Teppiche, verschleierte Leute. Ich traute meinen Augen kaum. Doch ich hatte das unbestimmte Gefühl mich in der Stadt Rabat zu befinden. Es war eine der Städte, die ich noch aus dem Geographieunterricht in Marokko lokalisieren konnte. Plötzlich griff eine Hand nach mir. Die Hand war kalt. Sie zerrte an meiner Schulter, zog mich mit sich. Und plötzlich waren alle Leute weg. Ich rief m Hilfe, doch keiner war da, der mich hören konnte. Langsam verschwand der Druck, der auf meiner Schulter gelastet hatte. Ich fand mich in einer Höhle wieder. Keuchend lag ich auf dem unebenen Steinboden. Ich sah an die dunkle Decke und konnte doch nur wenig erkennen. Dann plötzlich trat über mich ein Gesicht. Es hatte einige Ähnlichkeit mit Farid, doch war der Mann um einiges älter und seine Haut war furchiger und von der Sonne gegerbt. Er sprach zu mir, doch tat er es auf einer mir fremden Sprache. Ich versuchte verzweifelt einige Wörter zu verstehen, doch es war ein Nichts. Ich kannte keinen einzigen Buchstaben. Dann packte mich wieder diese frostige Hand und ich wurde mitgezogen. Diesmal trug sie mich zu einer Klippe. Dort stand ich eine Weile. Ich dachte über alles nach. Doch plötzlich überkam mich ein seltsames Gefühl der Freiheit. Es schien, als sei nichts auf der Welt mehr wichtig, als sei selbst der Tod keine Gefahr. Langsam trat ich einen Schritt näher an den Abgrund. Und dann sprang ich.


Schweißgebadet erwachte ich aus meinem Traum. Keuchend lag ich auf meinem Bett. Ich war hell wach. Auf meinem Radiowecker konnte ich erkennen, dass es bereits nach Mitternacht war. Mechanisch erhob ich mich und schälte mich aus meinen Kleidern. Ich beschloss trotz der späte Uhrzeit noch zu duschen und erst als ich in einem frischen Schlafanzug in meinem Bett lag fühlte ich mich wieder wohl. Und wieder übermannte mich der Schlaf.

Drittes Kapitel
Der Klang von ‚I can see clearly now’ weckte mich heute aus meinem Schlaf. Ich hatte heute die Radioweckfunktion angeschaltet. Auch heute erhob ich mich. Ich hatte nicht vergessen, was gestern geschehen war. Aber ich wollte nicht schon wieder darüber nachdenken. Einen Moment wanderte mein Blick zu meinem Computer und ich überlegte, ob ich eine Grippe vorspielen sollte, doch das war nicht meine Art. Ich ging sonst auch immer brav in die Schule und in seinem Abschlussjahr sollte man womöglich ja nicht ständig fehlen. Also schlenderte ich ins Bad, wusch mich, ging zurück in mein Zimmer und zog mir heute eine eng anliegende Jeans, mit einem ¾-ärmeligen T-Shirt sowie einem ebenso langen schwarzen Strickpullover an. Das Wetter hatte sich meiner Laune gleich ziemlich dem Keller zugesenkt. Der Herbst machte sich alle Ehre, indem er mit heftigen Gewittern und durchgehendem Regenguss die Leute zwang sich anderweitig zu erfreuen als an dem Wetter. Lieblos zog ich meinen Lidstrich nach und tuschte meine Wimpern. Dann trappelte ich die Treppe hinunter in die Küche. Heute war außer mir noch keiner hier. Daraus schloss ich, dass ich recht früh dran sein musste. Doch nun war das auch schon egal. Also konnte ich auch gleich frühstücken und dann verschwinden, ehe einer etwas mitbekommen würde. Ich schnitt eine Scheibe des Hefezopfes herunter und aß diese mit Butter. Dazu hatte ich mir einen Früchtetee gemacht. Eine Mischung, die meine Oma bevorzugte. Sie sagte, die verschiedenen Früchte, Beeren und Teeblätter, die enthalten waren würden die Nerven beruhigen und ruhigere Nerven als die, die ich zu dieser Zeit hatte konnte ich gut gebrauchen. Als ich mein Frühstück beendet hatte stellte ich meinen Teller in die Spülmaschine, ebenso meine Tasse. Ich wollte schon gehen als ich es mir anders überlegte. Ich lief mit eiligen Schritten zurück, diesmal ins Arbeitszimmer meiner Mutter. Dort nahm ich einen Zettel und schrieb:
‚Bin Heute schon früher losgefahren. Macht euch keine Sorgen. Bis heute Mittag.
Samantha’
Dann lief ich zurück zu meiner Tasche, nahm sie über meine Schulter, hob meinen Ordner vom Boden auf und trat aus der Tür. Ich beeilte mich, obwohl ich massig Zeit hatte. Erst bei meinem Auto angekommen atmete ich durch. Dann stieg ich ein. Doch ich fuhr nicht sofort los. Ich setzte meinen Fuß an das Gaspedal, drückte es aber nicht runter. Ich saß einfach nur da. Still und starrte auf die Straße, die ich durch das offene Garagentor sehen konnte. Dann startete ich den Motor. Mein Fuß drückte das Gas und das Auto fuhr los. Durch die frühe Uhrzeit war wenig verkehr, doch als die Abbiegung zur Schule kam fuhr ich vorbei. Ich fuhr einfach weiter. Ich wusste nicht, wohin, doch plötzlich stand ich in einer Sackgasse. Ich war einfach dem Straßenverlauf nach Norden gefolgt und hatte nicht weiter überlegt. Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken. Der Motor erstarb. Ich spürte, wie Tränen der Verwirrung und Verzweiflung meine Wangen nässten und wie meine Hände zitterten. Doch ich zwang mich dazu, mich zu sammeln. Ein, zwei mal atmete ich bewusst tief durch, ehe ich den Rückwärtsgang einlegte und aus der Sackgasse fuhr, dann bei der nächsten Möglichkeit umdrehte und nun auf den Schulparkplatz fuhr. Mittlerweile war ich auch nicht mehr besonders früh dran. Statt dessen musste ich mich beeilen, noch rechtzeitig in den Unterricht zu kommen. Ich setzte mich neben Farid, der bereits an seinem Platz war. Ich überlegte, ob ich ihn grüßen sollte, oder ob es tatsächlich besser währe den Kontakt zu beenden. Doch Herr Bennet übernahm diese Entscheidung für mich, indem er den Chemieunterricht begann.

nach oben springen

#2

RE: Sonne über Rabat

in Kreatives 25.09.2010 20:13
von mauseminchen • 11 Beiträge

Sorry, dass ich des als gast abgeschickt hab, hab grad net gepeilt, dass ich ausgeloggt war. xD


nach oben springen

#3

RE: Sonne über Rabat

in Kreatives 25.09.2010 20:49
von solina • | | 72 Beiträge

Kleiner Tip: ich habs noch nicht gelesen. Mehr absätze. macht das lesen um einiges leichter.

nach oben springen

#4

RE: Sonne über Rabat

in Kreatives 25.09.2010 21:27
von bibbl3000 • 123 Beiträge

also ich find die geschichte super^^
aber solina hat recht, ich hab nur kurz die seite gewechselt und hab gleich suchen müssen, damit ich wusste wo ich war...
also ein paar mehr absätze und das wird eine super story^^



Yori <3

pics by bibbl3000 from photobucket.com/bibbl3000's album

nach oben springen

#5

RE: Sonne über Rabat

in Kreatives 25.09.2010 22:52
von mauseminchen • 11 Beiträge

Da ich des nicht nur als Geschichte hier so im Forum schreibe sondern als Buch praktisch ist es normalerweise in einem Wordokument, wo es durch die Seiten noch mehr gegliedert ist ;)
Danke für die Komentare :D


nach oben springen

#6

RE: Sonne über Rabat

in Kreatives 03.11.2010 21:21
von Carolin123 (gelöscht)
avatar

Ach ja, nur so, erst schreibst du, dass das café 'Atlantik' heisst, aber nachher ist es das 'Atlantis'

nach oben springen


Besucher
0 Mitglieder und 2 Gäste sind Online

Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Chilkyhib
Forum Statistiken
Das Forum hat 73 Themen und 1287 Beiträge.

Heute waren 0 Mitglieder Online:

Besucherrekord: 18 Benutzer (30.09.2010 16:43).

Xobor Einfach ein eigenes Xobor Forum erstellen